träume nicht dein Leben – lebe deinen Traum

Der Alltag hat uns fest im Griff. Vielleicht auch die Sorgen und Zwänge. Irgendwelche Vorhaben oder Wünsche bleiben nur Träume und werden vor sich hin geschoben. Zwar ist es schön Träume zu haben, aber noch schöner ist es, einen Traum in die Wirklichkeit umzusetzen. Genau das habe ich mir fest in den Kopf gesetzt. Darum lautet das Motto vom heutigen Tag: Träume nicht dein Leben – lebe deinen Traum.

Barrhorn

 

„Güete Tag, heit ihr wella ambrüf?“ ertönt es aus dem Lautsprecher. Draussen ist es noch dunkel. Die kleine, rote Luftseilbahn wartet auf die ersten Kunden. Gesteuert wird sie von der Bergstation. Ich stelle mein Bike in die Kabine. So wie es scheint, werde ich der einzige Fahrgast sein. Sieben Uhr, und schon schwebe ich hoch über dem Abgrund. Ich bezahle mein Ticket in der Bergstation, tausche einige Worte mit dem flotten Bergbahnangestellten aus und mache mich auf den Weg in dieses Seitental.

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So langsam wird es Tag. Je weiter ich auf dem Asphaltsträsschen ins Tal eindringe, umso frischer wird es. Die Wiesen sind vom Frost weiss bedeckt und das GPS zeigt kaum ein Grad an. Das erste spannen im Rücken macht sich bemerkbar. Wenn das nur gut kommt. Schliesslich plagen mich schon seit längerer Zeit Verspannungen und teils Schmerzen im Kreuz. Jetzt schnell die Gedanken wechseln. Nicht dass mein Traum platzt.
Die ersten verlassenen Häuser tauchen auf. Weit in der Ferne, am Talende, werden die Berggipfel von der Sonne hell beleuchtet. Das früh Aufstehen hat sich jetzt schon gelohnt. Ich komme gut voran und liege immer noch im Zeitplan. Das Dörflein ist bereits hinter mir. Das Tal scheint fast verlassen zu sein um diese Jahres- und Uhrzeit. Nur ein paar Autos am Ende der Asphaltstrasse deuten auf Leben hin.

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Die absolvierten Höhenmeter bis hierher waren locker. Nun steigt das Gefälle auf der Kiesstrasse an. Gut so, schliesslich will ich in die Höhe. Weiter oben erblicke ich zwei Biker. Oh Wunder, ich bin nicht alleine unterwegs. Gleich erreiche ich den Stausee. Ich bin schon gespannt wie sich der Weg entwickelt. Dann treffe ich auf die beiden Biker. Sie parken ihre Räder und schnallen sich die Wanderschuhe an. Sie haben die Bikes nur bis hierher genommen, damit sie nach der langen Wanderung schneller wieder unten beim Auto sind. Die beiden Walliser erzählen ihr vorhaben. Ahh super, da will ich auch hoch. Was? Aber du nimmst nicht das Bike mit? Doch, das mache ich. Die nächsten Meter kann ich die Schotterstrasse noch fahrend bewältigen. Dann kommt der Trail und das Bike muss auf die Schulter. Zwischendurch sind wieder kleinere Stücke fahrbar. Aber richtig effizient ist das dauernde Auf und Ab vom Bike nicht. Ich erreiche fast gleichzeitig mit den beiden Wallisern die SAC Hütte. Letztes Wochenende war Saisonschluss auf der Hütte. Daher ist alles einsam und verlassen. Das erste Etappenziel ist erreicht und mein Kreuz macht sich sehr bemerkbar. Sch….., das kommt nicht gut. Mein Dickschädel lässt ein Abbruch des Traumes aber nicht zu.

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Jetzt noch ein Foto und weiter geht es. Kurz nach der Hütte die erwartete Schlüsselstelle. Über eine Felswand geht es am Sicherungsseil hoch. Die Stelle ist mit etwas Vorsicht gut zu bewältigen. Oben weitet sich der Blick. In der Zwischenzeit bin ich in der Sonne angekommen und habe die Vegetation hinter mir gelassen. Herrlich wie die Sonnenstrahlen wärmen. So langsam werden die zusätzlichen 13.5 kg auf dem Buckel spürbar. Vor allem mein Rücken quitiert die Belastung. Die beiden Walliser laufen ein ähnliches Tempo. Über die Hälfte ist geschafft. Eine kleine Verschnaufpause und ein paar Worte mit den Wanderern. Willst du das Bike immer noch weiter hinauf tragen? Irgendwie zweifeln sie an meinem Vorhaben. Weiter geht es. Die ersten Schneeflecken sind erreicht. Das Tempo wird immer langsamer, die Luft dünner und der Rücken schmerzt noch mehr. Nein, ich bin echt nicht mehr normal. Kein normaler Mensch trägt sein Bike so lange den Berg hoch. Wird der Traum zum Albtraum? Ich setze einen Fuss vor den anderen. Das Gelände ich sehr steil und rutschig. Zwei Wanderer kommen mit entgegen. Sie sind bereits im Abstieg. Gleich überfallen sie mich mit Fragen. Zugegeben, auf über 3’000 Meter bin ich als Biker schon eine Seltenheit.

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Mit den beiden Wallisern überquere ich ein kleineres Schneefeld. Das Ziel ist in Sichtweite. Und? Nimmst du jetzt das Bike bis auf den Gipfel? Klar, wenn ich schon hier bin, so kommt es sicher auch bis auf den Gipfel! Die letzten Meter. Ich kann es kaum fassen. Ja, die letzten Meter. Seit über drei Stunden buckle ich jetzt mein Bike den Berg hoch und der Rücken schmerzt gewaltig. Und jetzt die letzten Meter. Das Gipfelkreuz, ich könnte schreien. Vor mir liegen alles 4’000er Berggipfel Auge in Auge. Ich erblicke die Welt von oben. Was für ein Gefühl, was für eine Befriedigung. Mein Traum wird Wirklichkeit. Ich stehe auf 3’610 Meter Höhe. Hinter mir fällt die Felswand senkrecht nach unten. Ein kräftiges Händeschütteln mit den beiden Wallisern. Ehrlich, ich hätte nie geglaubt, dass du das Bike wirklich bis hier auf den Gipfel nimmst, muss der Eine neidlos eingestehen.

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Das Gipfelfoto ist geknipst, die Aussicht ausgiebig genossen, der Eintrag im Gipfelbuch erledigt. Ich kann mich kaum trennen von diesem wunderschönen Platz hier oben. Aber alles hat bekanntlich ein Ende. Jetzt fährst du sicher nicht hier runter, oder? Doch, das mache ich. Meine Mundwinkel zeigen weit nach oben. Langsam zirkle ich den sehr steilen und rutschigen Pfad nach unten. Genial! Das ist echtes alpines biken. Von mir wird vollste Konzentration gefordert. In den Spitzkehren versetzte ich das Hinterrad, versuche die Schneeresten zu umfahren und lote die Grenzen vom Gripp meiner Reifen aus. Die Wanderer kommen ebenso schnell voran wie ich auf den zwei Rädern. Ich staune, vieles ist fahrbar. Es hat aber auch Stellen wo ich absteichen muss. Da müsste man Trialfahrer sein. Dann durch die Schlüsselstelle und schon treffen wir uns wieder bei der Hütte. Jetzt am Nachmittag hat es noch ein paar weitere Wanderer bis hierher gezogen. Fragend blicken sie auf mein Bike.

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Die Höhenmeter purzeln gewaltig schnell. Das letzte Salü den beiden Wallisern, am Stausee vorbei, die Kiesstrasse runter, dann wieder in den Trail und immer alles Talauswärts. Nach dem Stück Asphalt der nächste Trail. Oh nein. Dieser ist übersäht von Kuhfladen und nassen Stellen. Die Baumbrenze ist schon lange erreicht. Der Trail wird immer besser. Ich fliege dem Ziel entgegen.

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Unter mir liegt das Dorf wo ich geparkt habe. Die letzten kniffligen Downhillmeter. Geschafft. Müde, zufrieden und schmerzgeplagt verlade ich das Bike im Auto. Satte 3’000 Downhillmeter am Stück liegen hinter mir. Gewaltig. Das war der Lohn für die gewaltigen Strapazen.

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Heute habe ich meinen Traum gelebt. Und es wird definitiv nicht die letzte Traumerfüllung sein! Es war einmalig 🙂 einfach unvergesslich. Schön, einen Tag lang total verrückt zu sein.

 

Anmerkung:
Es handelt sich hier nicht um eine normale Biketour, sondern um eine Bikebergsteiger-Tour, eine Gipfelbesteigung. Daher sollte sie nur von sehr guten Bikern mit alpiner Erfahrung unternommen werden!

Distanz: 48.5 km
(Marschzeit min. 3:00 h)
Höhenmeter: 2’395 hm
Downhillmeter: 3’082 dm
Bike: Liteville 301 Mk11
Gipfel: Üssers Barrhorn, Wallis, 3’610 m.ü.M

 

13 Gedanken zu „träume nicht dein Leben – lebe deinen Traum“

  1. ganz grosses kino – mir kam eine stunde tragen schon lange vor, aber grad drei *chapeau*
    ist aber schon fast etas fies, uns hier kurz nach wintereinbruch mit solchen bildern zu spienzeln 😉

    apropos lebensmotto kann ich dir nur zustimmen und arbeite darum seit jahren auch nur 80%.
    man sollte träume verwirklichen solange man kann, egal was andere dazu sagen, denn es kann sich leider nur all zu schnell alles ändern.

    hoffe dass dein rücken bald wieder O.K. ist und wir auch nächstes jahr wieder solche schönen >3000er berichte geniessen dürfen.

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    • Danke Sven für deinen Kommentar!! Du machst das richtig mit den 80%. Irgend wie wurde mir das mit der Traumverwirklichung bei diesem Unterfangen wieder richtig bewusst. Also geniesse auch alle deine Erlebnisse. Vielleicht treffen wir uns nächstes Jahr mal auf dem Bike? Und dem Rücken muss ich über den Winter etwas Zeit lassen. Das kommt schon gut 😉

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      • gerne, ergibt sich sicher nächstes jahr mal auf ne gemeinsame (hoch-) tour.

        ja, mit viel zeit kommt das sicher wieder gut und bleibt mit etwas training und richtiger bewegungs- und sitztechnik auch so.
        leider etwas eine zivilisationskrankheit. hatte damit auch nie probleme, bis ich vom handwerken ins büro wechselte :-/

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  2. Ich ziehe respektvoll den Hut vor dieser Leistung. Die Erfüllung solcher Träume macht doch das (Biker)Leben umso spannender. Und was ist schon normal….man wagt sich viel zu wenig an solch aussergewöhnliche Sachen ran. Und die Bilder sind einmal mehr der Hammer!
    Ich muss mir auch wieder mal einen Traum erfüllen ;-))
    @Sven: super Einstellung von Dir, geniesse es wann immer es geht. Am Schluss bedankt sich keiner bei Dir. Trotz meiner Kaderfunktion arbeite auch ich keine Minute länger als nötig und nehme mir alle Freiheiten.
    Gute Besserung Rotscher, wir haben nächstes Jahr noch einiges vor…vielleicht mal mit Sven

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  3. Diesen Tag wirst Du sicher dein Leben lang nicht vergessen. Herzliche Gratulation zu dieser ausserordentlichen Willensleistung. Habe auch noch ein paar Träume, aber auf einem wesentlich tieferen Niveau. Also 3 Stunden Bikesteigen wäre für mich doch einfach nicht machbar. Gute Genesung deinem Rücken.Gib sorg.

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  4. Ja hey Rotscher, herzliche Gratulation. Das ist wirklich klasse!! Die Bilder sind wunderschön und Deine Leistung nicht hoch genug einzustufen. Schön, dass Du Dir Deine Träume verwirklichst, so ist es richtig.

    Und pass auf Deinen Rücken auf!

    Lieber Gruss Chregu

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  5. Ah, doch noch der Beitrag zu Deiner Tour. Nochmals: Gratulation. Den Zeitpunkt für die Tour hast Du jedenfalls sehr gut gewählt. Ganz toll finde ich bei dem Gipfel und der Route das wirklich alpine Ambiente – da gibt’s nicht so viele Alternativen dazu. Und ganz toll ist der slick rock-Teil in der Abfahrt.

    Happy trails für 2015!
    bernhard

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  6. Beautiful photos !
    It is certainly not a tour for everybody 🙂 A high level of stamina is required to accomplish this tour!
    I did a similar tour in July 2015 but not on a bike 🙂 I saw some bikers on the way and I was really wondering „How did they get that high on a bike??“. There is no cable car nearby …
    Respect 🙂

    Cheers

    Meczek

    https://meczek.wordpress.com

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  7. So Rotscher, jetzt ist es soweit und ich kann endlich sagen: „Gestern hab ich mir einen Traum erfüllt.“ Habe die selbe Route genommen wie du damals, jedoch gab es ein, zwei Änderungen. Die Turtmannhütte hatte geöffnet und somit gabs ein feines Znüni. Dafür wars auf dem Barrhorn so richtig windig und überall Wolken. Die 4000er hab ich leider nicht gross gesehen.. beim Runterfahren kam ein bisschen Regen dazu. Von den Wanderern Wurden mir ebenfalls quasi ausnahmslos „Respekt“ oder „Chapeau“ gesagt.. 😉
    Mit meinem Bandscheibenvorfall (seit 1,5 Jahren), kann ich zudem mit dir mitfühlen.. tja.. bisschen besser?
    Alles Gute und nochmals Gratulation!!

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    • Cool das zu hören. Danke für dein Feedback! Nur schade hat sich das Panorama etwas versteckt. Dies ist nämlich absolut genial. Meinem Rücken geht es recht gut, obwohl er sich zwischendurch auch meldet. Dir weiterhin tolle Erlebnisse auf und mit dem Bike!

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  8. Salut Rotscher, toller Bericht!

    Wir wollen die Tour auch an einem Tag machen. Weisst du noch ca. wie lange der Aufstieg ab Ende Turtmanntal beim See bis auf den Gipfel gedauert hat? (Ohne Pausen)

    Cheers, Peter

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    • Hallo Peter. Da habe ich wirklich keine Ahnung mehr wie viele Stunden es effektiv waren. Im Beitrag habe ich über drei Stunden geschrieben. Genau habe ich damals die Zeit nicht gestoppt. Aber rechne als reine Laufzeit mit dieser Angabe. Der Aufstieg ist wirklich lang und endlos.
      Gutes Gelingen und viel Gipfelglück!

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