mein Stern

Ich mache mich auf alles gefasst. Wenn es hoch hinaus geht, ist dies verbunden mit viel laufen und Bike schleppen. Dabei hofft man, dass die Schinderei nur aufwärts statt findet und abwärts der grösste Teil fahrbar ist. Vor allem in einem Gebiet wo man keine Biker, sondern nur Wanderer und Bergsteiger antrifft. Ich lasse mich gerne überraschen.

Das Postauto nimmt mich mit ins hinterste Bergdorf vom Tal, wo bereits der lange Aufstieg wartet.
Das Dorf ist schnell hinter mir, oder besser gesagt unter mir. Die Alpstrasse führt vorbei an einem alten Tellerlift. Dies weckt Erinnerungen an meine Skifahrerzeit. Der Grossteil der heutigen Jugend wird diese Art von Skilift gar nicht mehr kennen. Aber richtig cool, dass es sie noch gibt.

Die ersten 500 Höhenmeter sind auf der Naturstrasse gut zu bewältigen. Ich treffe bei der Alp wieder auf eine Herde von Eringerkühe. Das Val d’Hérens ist die Heimat dieser schwarzen, majestätischen Vierbeiner. Kein Wunder sind sie überall präsent. Die Umzäunung schützt mich zum Glück vor meinen Ängsten.

Die Alpstrasse endet, somit auch die gut fahrbaren Höhenmeter. Das stört mich überhaupt nicht, denn hier beginnt die wunderschöne Bergwelt. Vorbei geht es an einem Wasserfall, über eine Ebene mit vielen Wasserläufen, über Brücken, entlang von Felswänden …
Die Landschaft ist eindrücklich, so wie ich es liebe. Und ja, es gibt immer wieder einige Meter im Sattel, viel mehr als ich erwartet habe. Mich überrascht sogar ein herrlicher Pfad entlang einer steilen Bergflanke.

Plötzlich ist die SAC-Hütte zu erkennen. Sie liegt auf einer Erhebung am Fusse der markanten Bergkette, wo Felszacken wie rote Nadeln empor ragen. Das erste Etappenziel ist erreicht.

Hinter dem Kunstwerk führen ein paar Meter abwärts, wo ich bereits durch Schneefelder stapfe. Mein Blick schweift in die Höhe, dem vielen Weiss entgegen. Ui, wird es überhaupt möglich sein, über 3000 Meter hinauf zu steigen? Meine Gedanken sind alles andere als optimistisch, meine Stimmung im Moment ziemlich gedämpft.

Das Bike liegt auf den Schultern, die Schuhe suchen Halt auf den vielen Steinen. Ich folge den blauweissen Markierungen.
Der Pfad führt über eine Gletschermoräne. Schlagartig ändert sich meine Stimmung. Mir kommt fast das Augenwasser. Wow, die Abfahrt wird genial.
Die Wegspur teilt sich in blauweiss oder grünweiss. Wo führt wohl die andere Strecke hin?
Rundherum gibt es nur Steine in allen Farbvariationen, gepaart mit viel Weiss. Ich bin Auge in Auge mit den Gletschern. Eine grüne Vegetation sucht man vergebens. Nur ein paar kleine Blumen blinzeln zwischen den Steinen hervor. Keine Ahnung woher sich diese Blümchen die Motivation nehmen, in diesem rauen Klima zu blühen. Ganz genial, hochalpines Gelände vom Feinsten.

Die Luft wird merklich dünner, die 3000er Grenze ist hinter mir. Der Pfad führt mich immer an den Schneefelder vorbei, zum Glück nie hindurch. Der letzte Hang ist sehr steil, der Gipfel vor mir. Nach ca. 1.5 Stunden Bike schleppen stehe ich auf meinem Stern.
Die Glücksgefühle sprudeln fast über. Eine Gipfelbesteigung macht super happy, sowieso wenn diese mit viel Kraft und Schweiss erkämpft werden muss.

Was mir auf über 3’300 Metern fehlt, ist ein Gipfelkreuz. Dafür gibt es auf der etwas weiter vorne liegenden Kuppe ein grosses Steinmannli. Ich versuchen den Vorgipfel zu erreichen. Das Gekraxel über die rutschigen Schiefersteine, versetzt mit Schnee und Eis, sind für meine Bikeschuhe nicht das ideale Terrain. Ich möchte ja nicht ein paar hundert Meter tiefer landen. Also lasse ich dieses Vorhaben sausen.

Die Gipfelpause fällt nicht sonderlich lang aus. Die Wolken ziehen über den Berg und verhüllen die Aussicht komplett. Das drückt auch die Temperaturen ins Unangenehme.
Das Mittagsbrötchen ist verspeist, als Dessert gibt es Schottersurfen. Ab in die Abfahrt.

Der Boden ist vom erst kürzlich geschmolzenen Schnee teils noch nass und weich. Meine Stollen können sich richtig gut festbeissen. Ich gleite im Schritttempo den extrem steilen Hang hinunter. Ich hätte mir nicht erträumt, dass dies fahrbar ist. Ein paar wenige Schritte zu Fuss gibt es dennoch. In dieser Kulisse zu biken sprengt meine kühnsten Träume. Genau so muss Bikebergsteigen sein.
Die erste Stufe ist geschafft. Vor mir liegt die Gletschermoräne, worauf der schmale Pfad verläuft … unbeschreiblich. Ein Juchzer erklingt aus meiner Kehle.
Dann ist die Verzweigung erreicht, aufwärts zur Hütte, abwärts ins Tal.

Der Schnee ist hinter mir, das Grün kehrt langsam zurück. Der Trail bleibt anspruchsvoll, wie ich ihn mir wünsche.
Plötzlich finde ich mich in einer anderen Welt. Am blauen See tummeln sich viele Leute. Hier wird die Sonne genossen und sogar gebadet. Es scheint ein beliebtes Ziel zu sein. Ich lege das Bike in der Wiese, strecke alle Viere von mir und geniesse die wärmenden Sonnenstrahlen.

Jetzt noch schnell ins Tal düsen. Oh nein, der Trail bleibt hervorragend zickig. Nur mit dosierter und sehr gekonnter Fahrtechnik ist der Pfad zu bändigen. Ich wachse förmlich über mich hinaus, nehme jede Ecke, jeden Absatz … als gäbe es keine Hindernisse. Die Wanderer würden kaum tauschen wollen, obwohl auch ein Wow zu hören ist.

Die Strasse ist erreicht, die ich bald wieder verlasse. Ein Stück Trail, dann ein alter Karrenweg und etwas Kiesstrasse.
Irgendwie fühlt sich das ganze wie ein Traum an. Ich schwebe förmlich über die Wiesen im Tal zurück nach Evolène.

Es wird einige Zeit benötigen, bis meine Gefühle wieder etwas geordnet sind. Immer wieder schweifen meine Gedanken zurück auf den Berggipfel, das Erlebte …

Zisch, das Walliser Pale Ale bringt etwas Abkühlung in meine überhitzten Glückshormone. Und mit jedem Schluck wird mir klarer, ich komme wieder. Meinen Stern werde ich nicht mehr vergessen, er ist ins Herz gemeisselt ⭐ … es scheint einer dieser dreizehn Sterne im Walliser Wappen zu sein.

Distanz: 25.3 km
Höhenmeter: 1’409 hm (davon ca. 850 hm schieben/tragen)
Downhillmeter: 2’012 dm
Bike: Liteville 301 Mk14

5 Gedanken zu „mein Stern“

  1. Aah herrlich die sternstunde, da kommen erinnerungen und sehnsüchte hoch 8) eine der, wenn nicht die beste abfahrt im wallis und du hast sie sogar noch bis Evolene verlängert. Das tal der kampfkühe ist einfach genial, auch ich hatte da dieses jahr wieder ein paar der schönsten bikeerlebnisse.

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  2. Wunderbar und schöne Bilder Rotscher -:)

    Die ganze Gegend ist ein Traum, passt zum Wappe von Evolène, unten Grün in der Mitte schneebedeckten Bergen über dem blauen Himmel mit zwei Sternen daher passt deine Titel in diesem Bericht schön dazu………, aber, das mit 850hm Bike-Bergsteigen ist halt so Sache?!

    Eine optimale Biketour für Gipfel (i) stürmer ohne Batterie?!… Ziel für 2021

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