Schlepper-Day

Man könnte die heutige Tour als Königsetappe unserer Ticinodays bezeichnen. Kein Gipfel war höher, endlose Höhenmeter und Bikeschleppen ohne Ende.
Wer nur die zurückgelegten Kilometer anschaut, denkt an eine lockere Feierabendrunde. Noch nie hatte ich eine so kurze Tour mit so viel Höhenmeter absolviert. Auf schlappe 24 km kommen über 2’000 Höhenmeter zusammen. Die Form vom Höhenprofil kannst du dir sicher gut vorstellen.

Unser Start liegt auf guten 200 Höhenmeter am Lago Maggiore. Einrollen? Fehlanzeige. Aber immerhin gibt es eine steile Strasse, wo wir die ersten 850 Höhenmeter auf dem Bike absolvieren können. Wir treffen auf eine schmucke Alp, wo die Strasse endet. Bevor die Bikes auf die Traghilfen kommen, gönnen wir unserem Körper einen Energieriegel.
Jetzt wird es hart. Die Bilanz von aufwärts fahren und tragen ist voll im Minus. Die Schuhsohlen produzieren mehr Abrieb als die Stollenreifen, zumindest im Uphill.
Fast mit jedem Schweisstropfen denken wir an Ändu. Konnte er das gebrochene Schaltauge bestellen, kaufen oder sogar schon montieren? Und was macht er jetzt? Wahrscheinlich geniesst er ein grosses Gelati am See.

Wir passieren verlassene Steinhäuser, wandern durch hohes Farn, erfreuen uns an den gelben Büschen und können schon bald die herrliche Aussicht geniessen.
Der blecherne Königsvogel empfängt uns bei der letzten Alp. Bereits von hier oben ist der Blick über den Lago Maggiore umwerfend. Nach einer kleinen Pause geht es weiter, durch viele Alpenrosen bis zum ersten Zwischenziel, der Bocchetta.

Der Aufstieg ist lang und hart … da braucht es viel Biss 🤣

Auf der Bocchetta lassen Marie, Sven und ich das Bike liegen. Wir kommen hierher zurück. David hofft auf ein paar fahrbare Meter und schleppt sein Alupferd einige Meter weiter hinauf. Bis zum Gipfel sind es eine gute halbe Stunde Wanderzeit. Hin und zurück macht dies nochmals eine Stunde Belastung für die Schuhsolen. Vielleicht würde es bei diesem Verschleiss Sinn machen, mir einen Schuh-Sponsor zu suchen 😉

Der Vorgipfel ist erreicht. Eine Erhebung weiter ist bereits das riesige rote Kreuz zu sehen. Wow, dann endlich der Gipfel.
Ein Eintrag ins Gipfelbuch und eine ausgiebige Pause muss sein.
Das Gefühl oben zu sein, auf dem Gipfel zu stehen, ist einfach immer 1a. Genau das macht es aus, sein Bike zu schleppen, Bikebergsteiger zu sein.

Super Panorama. Der Lago Magiore, das Maggiadelta mit Locarno und Ascona, die Magadinoebene, die umliegenden Berge, Luino auf der italienischen Seite …

Für David gibt es ein paar fahrbare Meter, während wir im Eiltempo zum Pass zurück wandern. Endlich fahren. Nach stundenlangem tragen und laufen ist dies eine echte Wohltat. Aber nicht übermütig werden. Das Terrain ist keine präparierte Flowtrailpiste. Knackig vernichten wir die ersten Höhenmeter. Dann einige flowige Passagen, Stufen, Steinbrocken, Kehren …
Uns wird es nicht langweilig, das volle Programm.

Nächster Boxenstopp ist bei der Hütte. Selber gemachter Kuchen und Eistee … und eine sehr sympathische Bedienung.

Bei der Hütte ist die Aussicht über den See fast noch schöner als auf dem zurückversetzten Gipfel. Eine Übernachtung hier oben ist sicher auch super.
Wir müssen weiter. Der Downhill ruft. Der Trail ist für versierte Technikbiker ein Volltreffer. Einfach genial, abseits von Hochglanzrouten und Stromtrails zu biken.

Die Zeit vergeht rasant. Eigentlich hätte Sven für uns noch eine Zusatzschlaufe bereit gehalten. Da diese nochmals ein paar Höhenmeter aufweist, entscheiden wir uns für den schnellen Abgang.

Vom Berggipfel bis zum Meer. Auch wenn es nur der Lago Maggiore ist, die 2’000 Meter Höhendifferenz und die tollen Gegensätze sind ein Erlebnis.
Uf, das war ein Tag, ein echter Schlepper-Day 🥵 … kein Wunder gibt es heute ein zusätzliches Birra Ticinese.

Gut gibt es noch andere verrückte Spinner, es war richtig cool. Danke Sven fürs Guiding, Sven und David für die tollen Fotos, und Marie für den weiblichen Ausgleich 😎

Distanz: 24.0 km
Höhenmeter: 2’019 hm (ca. 1’120 hm schieben/tragen)
Bahnunterstützung: Keine
Bike: Liteville 301 Mk14

6 Gedanken zu „Schlepper-Day“

  1. Hoi Rotscher,leider hast in deinen Schlussworten jemanden vergessen…haha.Sehr,sehr schöner Beitrag mit vielen tollen Bildern,wusste schon gar nicht mehr ,wie toll das dort oben ist…
    @Sven: Ja ,macht nur mal die IT-Variante,dann würdet ihr euch nicht mehr über das Hochtragen von der CH-Seite beklagen…haha. Für Euch der König…..naja…eher einer der vielen Prinzen….

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  2. Bin fast nicht neidisch – statt Gelato am See hab ich mich mit einem Ackergaul auf den Berg mit Corona im Namen raufgemurkst….
    Könnte evtl. die grenzüberschreitende Variante dieser Tour dieses traumatische Erlebnis kurieren?

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  3. Die grenzüberschreitende Variante tät mich auch interessieren. Habe heute schon Mal eine Möglichkeit recherchiert, sieht recht abenteuerlich aus, also super 🙂

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  4. Hallo, ich wollte letztes Woe die grenzüberschreitende Var machen. Anbei eine kurze Beschreibung:
    Start in Cannobio, entlang des Flusses auf Radweg bis sich ein sehenswertes Felsentor erscheint, obenauf eine Kirche, die über ein paar Stufen erreicht wird. Weiter auf mässig ansteigender Strasse bis die Schlucht rechts über eine Brücke überquert wird. Ab hier wirds dann steiler bis Cavallio (500m), aber alles fahrbar. Das folgende Asphaltband via Gurrone (letzter Kaffeestop) nach Olzeno zieht über längere Abschnitte sehr steil hoch – 20% und mehr – für uns nur schiebenderweise zu bewältigen. Olzeno liegt nicht direkt an der Strasse – dennoch sollte man einen Abstecher in dieses autofreie Dörfchen machen zwecks Wasser tanken. Weiter gehts auf einem groben und längere steile Abschnitte Forstweg – auch hier ist oft an fahren nicht zu denken, bis man die Alpe Spoccia auf 1550 erreicht (letzte Wasserstelle). Auf Wanderweg schiebend zur Alpe la Quadra 1604 – eine Selbstversorgerhütte mit 4 Lagerplätzen. Wer ein Feuerzeug dabei hat, kann sich hier noch einen Espresso kochen, ein paar Dosen Getränke gibts auch. Die nächsten 150hm steil eine Wiesenflanke hochtragen. Danach wieder schieben möglich, wobei der Weg sehr schmal ist und ein paar kleine Felsstufen überwunden werden müssen. Ab 1900 nochmal sehr steil, ab 2000 wieder flacher mit der ein oder anderen Felsstufe. Auf ca. 2100 sollte es eine Weggabelung geben: ein Weg sollte laut Karte den Hang querend unterhalb des Limidario bis zur Scharte führen. Diesen Weg konnten wir nicht erkennen und es gab auch keine Markierung. Die Markierung führte via Kamm direkt zum Gipfel. Dieser Abschnitt ist nur trittsicheren und tragesicheren Bikern zu empfehlen: es geht über Stein und Felsen und 2 Passagen mit Ketten (wobei bei der 2. Kette die Haltestifte ausgebrochen waren …) und bei uns noch Altschneereste zum Gipfel. Diese 2. Stelle mit Kette war uns etwas zu heikel, sodass wir erstmal zu Fuss in 5min zum Gipfel sind. Oben angekommen mussten wir feststellen, dass in der Flanke der geplanten Abfahrt noch zuviel Altschnee lag. Angesichts der fortgeschrittenen Zeit und des aufziehenden Regens beschlossen wir den Rückzug auf derselben Route, was angesichts der nassen und rutschigen Felsen alles andere als einfach war. Anfangs konnte man gar nicht fahren, später abschnittsweise mit ein paar Hindernissen, ab ca. 1900 kann man fast alles fahren.
    Alles in Allem: eine lange und anstrengende Tour, aber für Leute die gerne Abenteuer haben wollen und dafür bereit sind, das Bike auch über Stock, Stein und Felsen zu tragen eine lohnende und eindrückliche Tour.

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    • Vielen tausend Dank für deinen ausführlichen Kommentar. Wir haben von oben die Route über Italien studiert. Die Strecke über den Grat sah ziemlich krass aus, also sicher nur für waschechte Abenteurer 🙂
      Es ist gut, wenn man vernünftig bleibt und in gewissen Situationen umkehrt, auch wenn es im Herzen schmerzt. Für solche Vorhaben sollte alles stimmen. Auf der Schweizer Seite hat es auch noch eine verflixte und schmale Felsenpassage. Sie ist nur zu Fuss zu bewältigen, und mit dem Bike im Gepäck ziemlich mühsam.
      Ich habe den Gipfel und die Herausforderung genossen. Aber die Überquerung lasse ich wohl sein.
      Wünsche dir weiterhin tolle Erlebnisse mit dem Bike in den Bergen!

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Danke für deinen Kommentar !