Berninaexpress

Endlich gibt es heute den Berninaexpress. Schon lange steht diese Freeridetour auf meiner ToDo Liste. Mit im Gepäck habe ich ordentlich Verstärkung, 7 Kollegen der Gipfel(i)-Stürmer. Alles ist organisiert, reserviert, gebucht.

Wir stehen in der frühen Morgenstunde auf dem kleinen Bahnhof von Celerina. Der rote Shuttle rollt uns sicher auf den zwei Schienen hoch zum Ospizio Bernina. Noch locker schwingen wir uns auf das Bike. Die ersten Meter entlang vom Lago Bianco sind morgendlicher Genuss. Definitiv wach werden wir nach dem kleinen Anstieg zum Aussichtspunkt hoch über der Alp Grüm. Die Sicht hinauf zum Piz Palü mit Gletscher und runter zur Alp Grüm ist wunderbar. Zu lange dürfen wir nicht verweilen, das Tagesprogramm drängt.
Die Alp Grüm ist bereits passiert. Mehrmals wird die Eisenbahnschiene gequert. Dann ein pfeifen, ein roter Zug und 8 Biker die zum Schnappschuss ansetzen. Weiter geht es, immer herrlich abwärts, mal flowig, dann knackig.

Poschiavo ist erreicht. Hier endet für viele die bekannte Abfahrt ins gleichnamige Tal. Für uns geht heute die Reise weiter. Ein paar Wiesentrails, dann entlang vom Lago di Poschiavo. Wir nehmen die linke Seeseite. Der geniale Fussweg entpuppt sich jedoch als Bikeverbot. Schade, dass dies nicht schon ganz zu Beginn vom See gekennzeichnet ist. Zurück können wir nicht, die Zeit drängt. Augen zu und durch. Prompt stellt sich eine masslos genervte Rentnerin in den Weg und versperrt uns die Durchfahrt. Ich befürchte schon, dass die Dame mit dem Walkingstock zuschlägt. Glück gehabt, wir befreien uns aus der Schlinge und flüchten Richtung Italien.

Wenn das kein perfektes Timing ist. Am Bahnhof von Brusio wartet bereits der Chauffeur mit seinem gelben Shuttle. Die Fahrt führt uns über eine schmale, spektakuläre Strasse hinauf zur Pescia Bassa. Die Fahrt kostet 30 Franken pro Nase. Wir nutzen die Fahrzeit für eine Zwischenverpflegung.
Die letzten 400 Höhenmeter müssen per Muskelkraft zurückgelegt werden. Auf der Alpstrasse geht es vorbei am Rif. Anzana und Pescia Alta. Die Hälfte ist geschafft. Der zweite Teil ist Trailfeeling. Ein gutes Stück ist fahrbar, der Rest muss zu Fuss erklommen werden.

Geschafft, der Col d’Anzana liegt auf 2’222 m.ü.M. und genau auf der Grenze zwischen der Schweiz und Italien.

Uns trennen über 2’000 Downhillmeter von Tirano 😁 Wenn das keine Ansage ist. Mensch, bin ich gespannt auf die Abfahrt. Aber zuerst muss noch eine Pause in den Zeitplan passen.

Go! Viva Italia. Tirano wir kommen.
Der Höhenweg ist super angelegt und bringt uns angenehm dem Hang entlang. Plötzlich zündet der Trail ein Feuerwerk. Es wird ruppiger, Steinplatten, Kehre um Kehre … sie wollen kaum enden. Die runden Kehren sind aber richtig gut ohne Versetzen zu fahren. Die ersten gut 1’000 Höhenmeter sind vernichtet. Schlagartig werden wir aus dem 7. Himmel zurückgeschüttelt. Keine Kehre, kein Flow. Fast in direkter Falllinie rüttelt und schüttelt es über den sehr steilen Rockgarden. Wir queren einige Male die Alpstrasse. Ich werde verrückt, so etwas habe ich noch nie gesehen und befahren. Auch dieser Abschnitt will nicht enden. Das ist wohl der längste Rockgarden auf Erden. Nach 1’000 Downhillmeter im selben Stil sind wir erledigt. Finger und Hände sind erschöpft, die Bremsbeläge abgeraspelt, der Dämpfer heiss, die Reifen mit klaren Gebrauchtspuren … gut empfangen uns die ersten Häuser von Tirano.
(Vom Rockgardenabschnitt gibt es leider keine Bilder, ich konnte nicht mehr anhalten und habe Stein um Stein genossen 😎)

Die strapazierten Bikes rollen durch die Strassen von Tirano. Wir sind dem Zeitplan voraus. Es würde auf einen Zug früher reichen. Ok, machen wir. Die Räder sind verstaut und wir lassen uns in die Sessel fallen. Die Fahrt mit dem roten Zug ist weltberühmt, zählt die Strecke zum Unesco Weltkulturerbe. In Poschiavo herrscht Hektik. Eine riesige Horde von BikerInnen möchte auch den Zug. Gut haben wir das Bike schon in Tirano eingecheckt.

Da sind wir wieder, auf dem Ospizio Bernina. Gegen Norden ist der Himmel schwarz. Also kein Stress. Wir gönnen uns an der Sonne Kaffee und Gelati. Solche Momente sind unbezahlbar.
Die Lebensgeister sind geweckt, alle wieder richtig „giggerig“ auf Singletrails. Ok, einen haben wir noch. Wir düsen Richtung Engadin, als wäre es der erste Trail vom Tag. Diese Abfahrt ist im Gegensatz zu den Anderen richtig flowig und rasant. Erst in Pontresina treffen wir auf nasse Strassen und Wege. Von oben bleiben wir trocken, das Gewitter ist vorbeigezogen. Von unten spritzt es kurz vor Erreichen von Celerina gewaltig an Material und Mensch.

Das Bike wird abgespritzt, die Kette neu geölt, ich kriege eine verdiente warme Dusche, und dann geht es zum Nachtessen. Richtig glücklich und zufrieden blicke ich auf den erlebten Tag zurück, auf die Berninaexpress-Tour. In solchen Momenten ist allesROTSCHER.
Ich möchte hier nochmals erwähnen, dass die Abfahrt vom Col d’Anzana kein Sonntagsspaziergang ist. Die untere Hälfte ist anspruchsvoll und besteht aus einem sehr ruppigen und steilen Steinweg. Ein paar Meter Erdboden suchst du vergebens.

Hey Gipfeli-Mannen, das war richtig cool mit euch. Solche Tage erlebt man nur zusammen mit tollen Bikekollegen.

Die Tour war Bestandteil vom verlängerten Bikeweekend im Oberengadin mit den Gipfel(i)-Stürmern.

Distanz: 62.1 km
Fahrzeit: 4:21 h
Höhenmeter: 671 hm
Downhillmeter: 4’062 dm
Bike: Liteville 301 Mk11

 

2 Gedanken zu „Berninaexpress“

  1. Ja Rotscher, der Col D’Anzana mit seinen zwei total verschiedenen Gesichter ist schon eine spezielle Sache. Immer wieder für Überraschungen gut. Endlich können wir ihn auf unserer To do Liste abhaken. Dein Zeitplan passte perfekt. Auch erwähnenswert ist, dass wir auf dieser Abfahrt ohne nennenswerte defekte durchgekommen sind. Dieser Biketag geht in die Annalen ein.

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